Rücktritt des Versicherers Teil I

Wenn die Versicherung anficht, zurücktritt oder kündigt, weil der Versicherungsantrag nicht zutreffend ausgefüllt worden sein soll (Anzeigepflichtverletzung) Teil I

 

 

Wer beim Ausfüllen eines Versicherungsantrages schwindelt oder etwas vergisst, muss mit erheblichen Konsequenzen rechnen. Dies spielt vor allem bei Krankenversicherungsverträgen sowie Verträgen zur Berufsunfähigkeits- und Lebensversicherung eine große Rolle.

 

Eine Anzeigepflichtverletzung liegt dann vor, wenn die versicherten Personen im Versicherungsantrag falsche oder unvollständige Angaben zu einem Gefahrumstand gemacht haben, der für den Versicherer erheblich ist. Die weitere Frage nach dem Verschulden muss sich nach dem Einzelfall richten. Eine Faustregel besagt, dass eine Anzeigepflichtverletzung jedenfalls dann schuldhaft ist, wenn Medikamente verordnet wurden. Damit ist aber noch nicht gesagt, dass die Rechtsmaßnahme der Versicherung wirksam ist.

 

Die Regelungen zur vorvertraglichen Anzeigepflicht wurden mit der Reform des Versicherungsvertragsgesetzes geändert, womit sich die Rechtstellung des Versicherungsnehmers zum Teil verbessert hat. Außerdem wurden neue Fallstricke für die Krankenversicherungen geschaffen. Neu ist vor allem, dass das Gesetz jetzt nach dem Verschuldensgrad differenziert:

 

Bei arglistiger Täuschung kann der Versicherer den Vertrag anfechten. Der Versicherungsnehmer muss alle empfangenen Leistungen zurückzahlen, der Versicherer kann die Beiträge aber behalten.

 

Hat der Versicherungsnehmer die Anzeigepflicht bewusst verletzt, kann der Versicherer vom Vertrag zurücktreten. Ein Rücktritt hat zur Folge, dass der Vertrag nicht nur beendet ist, sondern der Versicherungsnehmer auch nur die bereits erhaltenen Leistungen behalten darf, die auf Erkrankungen beruhen, die nicht ursächlich mit der Anzeigepflichtverletzung zusammenhängen. Bei Vorsatz wird allerdings oft auch Arglist vorliegen.

 

Komplizierter ist die Situation, wenn der Versicherungsnehmer grob fahrlässig war. Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt im hohen Grade außer Acht lässt, wer nicht beachtet, was unter den gegebenen Umständen jedem einleuchten müsste. Vereinfacht ausgedrückt: Wenn man sich an den Kopf langt, sozusagen das Prädikat „echt blöd“.

 

Hätte der Versicherer den Vertrag auch abgeschlossen, wenn er über die nicht angezeigten Umstände informiert worden wäre, kann er nicht zurücktreten. Er kann aber ggf. rückwirkend Risikoausschlüsse (eine bestimmte Erkrankung wird nicht mitversichert) oder Risikozuschläge (erhöhte Beiträge) verlangen.

 

War der Versicherungsnehmer nicht grob, sondern nur „einfach“ fahrlässig, so kann der Versicherer den Vertrag nur kündigen. Der Versicherer wird nur für die Zukunft leistungsfrei. Hätte der Versicherer aber den Vertrag auch abgeschlossen, wenn er über die nicht angezeigten Umstände informiert worden wäre, kann er auch nicht kündigen, sondern ggf. rückwirkend Risikoausschlüsse oder Risikozuschläge verlangen.

 

War der Versicherungsnehmer schuldlos, so kann der Versicherungsnehmer dennoch kündigen, wenn er nicht den Vertrag zu anderen Bedingungen abgeschlossen hätte. Im Unterschied zum Fall einfacher Fahrlässigkeit kann der Versicherer einen möglichen Risikoausschluss oder –zuschlag aber nur für die Zukunft verlangen.

Klingt komplizierter als es ist.

 

Gefährlicher für den Versicherer ist aber die Umsetzung der neuen gesetzlichen Hinweispflichten, vor allem nach § 19 Abs. 5 Versicherungsvertragsgesetz. Danach muss der Versicherer dem Versicherungsnehmer durch gesonderte Mitteilung in Textform auf die Folgen einer Anzeigepflichtverletzung hinweisen.

 

Dieser Hinweis muss sich nach der Rechtsprechung vom sonstigen Textbild unterscheiden und so deutlich abzeichnen, dass er beim ersten Blick ins Auge fällt (LG Köln, Urteil vom 14.07.2010, Az.: 23 O 377/09). Die Belehrung muss sich außerdem vor den Gesundheitsfragen oder bei der Unterschriftsleiste befinden (LG Dortmund, Urteil vom 17.12.2009, Az.: 2 O 399/09).

 

Eine „Doppelbelehrung“, in der der Versicherer zunächst unmittelbar im räumlichen Zusammenhang mit den gestellten Gesundheitsfragen auf die möglichen Folgen der Verletzung der gesetzlichen Anzeigepflicht allgemein hinweist und diese sodann an einer genau bezeichneten Stelle im Einzelnen erläutert, ist mit dem Belehrungserfordernis des § 19 Abs. 5 VVG vereinbar (BGH, Urteil vom 25.04.16, Az.: 4 ZR 372/15).

 

Um seiner Warnfunktion gerecht werden zu können, so das LG Dortmund weiter, muss der Hinweis auch die den Versicherungsnehmer möglicherweise treffenden Folgen enthalten, die diesem bei einer Ausübung der Rechte des Versicherers drohen. Dazu hält es das Gericht für erforderlich, dass der Hinweis die dem Versicherer nach dem Grad des Verschuldens des Versicherungsnehmers eingeräumten Gestaltungsrechte (Rücktritt, Kündigung und Vertragsanpassung) erwähnt.

 

Unabhängig von der Frage, ob die Krankenversicherung Hinweispflichten verletzt hat, ob der Versicherungsnehmer die Anzeigepflicht verletzt hat und ob und in welchem Grad diese Anzeigepflichtverletzung verschuldet war, könnte auch in folgenden Fällen die Rechtsmaßnahme des Versicherers unwirksam sein:

 

  • Der Versicherungsvertreter hat bei Vertragsschluss Kenntnis von der Erkrankung

 

  • Der Antragsteller war bereits einmal zuvor bei der Versicherung versichert

 

  • So, wie der Antragsteller den Antrag ausgefüllt hat, ist noch einiges unklar, die Versicherung geht diesen Fragen aber bei Antragsannahme nicht nach

 

  • Die Versicherung hat definitiv Kenntnis von der Anzeigepflichtverletzung, überschreitet aber die Einmonatsfrist, ehe sie zurücktritt bzw. kündigt

 

  • Der Versicherungsbeginn wird vor das Datum der Antragstellung datiert

 

All diese Fragen im Zusammenhang mit einem Rücktritt müssen individuell von Fall zu Fall geprüft werden.

Share by: