Brauche ich eine Berufsunfähigkeitsversicherung?

Brauche ich eine Berufsunfähigkeitsversicherung und wenn ja, wie finde ich die richtige?

 

Experten, darunter auch Verbraucherschützer und die Stiftung Warentest, zählen die Berufsunfähigkeitsversicherung neben der Krankenversicherung und der Haftpflichtversicherung zu den Versicherungen, die jeder haben sollte.

 

Das Risiko, berufsunfähig zu werden, wird unterschätzt. Etwa jeder vierte Berufstätige ist im Laufe seines Lebens von Berufsunfähigkeit betroffen, durch die immer längeren Lebensarbeitszeiten mit steigender Tendenz. Dem größten Risiko sind Beschäftigte in körperlich oder psychisch belastenden Berufen und Tätigkeiten ausgesetzt. Das Risiko trifft nicht nur den Handwerker oder Arbeiter, sondern auch Angestellte, die einem Bürojob nachgehen, denn der Anteil psychischer Erkrankungen steigt bei immer größer werdendem Arbeitsstress kontinuierlich an. So sind für die Erwerbsminderung der gesetzlichen Rentenversicherung die häufigste Ursache psychische Erkrankungen mit 41%. Auch in der privaten Berufsunfähigkeitsversicherung liegen psychische Erkrankungen und Nervenkrankheiten mit über 31 % der Fälle an der Spitze.

 

Berufsunfähigkeit zählt zu den größten Armutsrisiken. Studierende, Auszubildende und Selbständige erhalten von der Rentenversicherung in der Regel gar kein Geld. Arbeitnehmer sind nur im Falle einer (generellen) Erwerbsminderung durch eine Rente abgesichert. Zur Feststellung der Erwerbsminderung wird nämlich nicht auf den zuletzt ausgeübten Beruf abgestellt, sondern nur darauf, ob das individuelle Leistungsvermögen eine Verwertbarkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zulässt. Kann ein Handwerker wegen orthopädischer Beschwerden seine Tätigkeit nicht mehr ausüben, aber noch an der Supermarktkasse sitzen und dort mindestens sechs Stunden täglich arbeiten, hat er keinen Anspruch auf die staatliche Erwerbsminderungsrente. Nur vor 1961 Geborene haben noch einen Anspruch auf die staatliche Berufsunfähigkeitsrente.

 

Eine Rente wegen Erwerbsminderung scheint vor allem den Sinn zu haben, dass sich der Staat die Zahlung einer Grundrente (zum Teil) sparen kann. Die meisten Bezieher einer Rente wegen Erwerbsminderung sind nämlich zusätzlich auf Leistungen aus der Grundsicherung angewiesen, mehr als ein Drittel der Erwerbsminderungsrentner müssen mit einer Rente von weniger als 600 Euro auskommen. Betrachtet man die Verteilung der im Jahr 2018 neu zugegangenen Erwerbsminderungsrenten, dann zeigt sich, dass die mittleren Zahlbetragsgruppen (600 - 1.050 Euro) dominieren. Wer im Jahr 2017 erstmals eine Erwerbsminderungsrente bezog, erhielt durchschnittlich 716 Euro im Monat. Dieser Umstand ist sicher zu beklagen, bedeutet aber auch, dass jeder Berufstätige erwägen sollte, eine private Berufsunfähigkeitsversicherung abzuschließen.

 

Private Versicherer bewerben junge Einsteiger mit günstigen Beiträgen. Im Grunde handelt es sich um eine Art Wette, ab welchem Alter es sich lohnt, eine Berufsunfähigkeitsversicherung abzuschließen. Mit dem Alter wächst das Risiko, die meisten Menschen trifft die Erwerbsminderung mit etwa 50 Jahren. Dafür, den Abschluss einer Versicherung nicht allzu lange aufzuschieben, spricht, dass junge Menschen weniger krank sind und daher eine größere Chance haben, die Gesundheitsfragen zu durchlaufen, ohne sich dem Risiko eines späteren Rücktritts mit der Folge der Leistungsfreiheit des Versicherers auszusetzen.

 

Dagegen sprechen die hohen Beiträge, die sich ein junger Mensch oft nicht leisten kann. Eine spätere Heraufsetzung der Leistungen erfordert zudem ohnehin eine erneute Gesundheitsprüfung speziell für die Erhöhung. Wegen der Niedrigzinsphase steigen die Beiträge für Einsteiger aktuell sogar noch weiter an. Meines Erachtens sollte die Versicherung bis spätestens mit Erreichen des 35. Lebensjahrs abgeschlossen werden. Viele Versicherer bieten bis dahin noch günstige Einstiegstarife an und im Falle einer vielleicht doch relevanten Vorerkrankung ist die 10-Jahresfrist für Vorsatz bis zum 50. Lebensjahr bereits vergangen, soweit der Leistungsfall nicht bereits vor dem Fristende eingetreten ist.

 

Nicht empfehlenswert ist eine Berufsunfähigkeitsversicherung als Zusatz (BUZ) zu einer kapitalbildenden Lebens- oder Rentenversicherung. Diese Kombination ist teuer, der Versicherungsvertreter verdient entsprechend mehr. Zudem wird bei den gegenwärtig sehr geringen Zinsen generell vom Abschluss von Lebensversicherungen abgeraten. Ein weiteres Problem ist, dass die BUZ nicht isoliert von der kapitalbildenden Versicherung weitergeführt werden kann. Eine Alternative kann der zusätzliche Abschluss einer Risikolebensversicherung mit einer möglichst niedrigen Todesfallsumme in Kombination mit der BUZ sein. 

 

Auch die Verbindung einer Riester- oder Rürup-Rente mit einer BUZ ist in der Regel nicht zu empfehlen.

 

Eine private Berufsunfähigkeitsversicherung versichert den zuletzt ausgeübten Beruf und zahlt ab einer Berufsunfähigkeit von 50 Prozent monatlich die vertraglich vereinbarte BU-Rente. Währenddessen wird der Versicherungsnehmer von der Beitragspflicht befreit.

 

Private Berufsunfähigkeitsversicherungen unterscheiden sich stark voneinander. Es gibt keine einheitlichen Bedingungswerke am Markt. Diese Individualität wird von den Versicherern als Vorteil verkauft. So kann die zukünftige Höhe der privaten Berufsunfähigkeitsrente im Gegensatz zur gesetzlichen Erwerbsminderungsrente selbst bestimmt und an den eigenen Bedarf angepasst werden. Allerdings sollte man sich für die Suche nach einem passenden Tarif an einen Fachmann wenden, der sich im besten Fall auf Berufsunfähigkeitsversicherungen spezialisiert hat. Dabei ist es ratsam, den Bock nicht zum Gärtner zu machen.

 

Zentral sind die beiden folgenden Punkte:

 

> Oft ist geregelt, dass ein Anspruch voraussetzt, dass der Versicherte unabhängig von seinem zuletzt ausgeübten Beruf auch keine vergleichbare andere Tätigkeit mehr ausüben kann. Er kann auf eine vergleichbare Tätigkeit verwiesen werden. Dabei spielt es keine Rolle, ob er tatsächlich eine adäquate Tätigkeit bekommt. Das Risiko der Arbeitslosigkeit bleibt beim Versicherten, da eine Berufsunfähigkeitsversicherung keine Versicherung gegen Arbeitslosigkeit beinhaltet. Viele Verträge enthalten keine Verweisung mehr. Ein großes Plus, aber leider schlecht für die Rechtsanwälte und Gutachter, die dadurch einen wesentlichen Streitpunkt verlieren.


> Berufsunfähigkeit setzt voraus, dass der Versicherte auf Dauer unfähig ist, seinen Beruf (oder ggf. einen Verweisungsberuf) auszuüben. Ein großer Vorteil ist die „fingierte Berufsunfähigkeit“. Sie definiert den Prognosezeitraum mit sechs Monaten. Danach leistet Versicherer bereits, wenn ärztlich prognostiziert ist, dass die bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit voraussichtlich mindestens sechs Monate anhalten wird.

 

Manchmal stellt sich aber erst später heraus, dass die Arbeitsunfähigkeit sechs Monate lang andauert. Für den Versicherten vorteilhafte Bedingungen sehen bei später nachgewiesener Berufsunfähigkeit vor, dass Leistungen auch rückwirkend gezahlt werden. Der Versicherer leistet ab Beginn der mindestens sechs Monate ununterbrochen andauernden Berufsunfähigkeit. Tatsächlich gibt es auf dem Markt viele Variationen dieser Regelungen, die der Versicherungsnehmer nur schwer durchschauen kann.


Weitere wichtige Regelungen sind:

 

> Der Versicherer prüft nur im Hinblick auf den zuletzt vor Eintritt der Berufsunfähigkeit ausgeübten Beruf.

 

> Der Anspruch auf Zahlung der BU-Rente entsteht mit Ablauf des Monats, in dem die Berufsunfähigkeit eingetreten ist. Karenzzeiten sollten nicht vereinbart werden, es sei denn Sie können die leistungsfreie Zeit mühelos finanziell überbrücken.


> Wird die Tätigkeit zwischenzeitlich unterbrochen wie zum Beispiel bei der Elternzeit, wird auf den Beruf und die Lebensstellung abgestellt, die vor der Unterbrechung bestanden.

 

> Der Versicherer verzichtet auf sein Recht zur Kündigung oder Vertragsanpassung, wenn der Antragsteller die Gesundheitsfragen schuldlos falsch beantwortet hat.

 

> Für den Fall, dass die Regelsaltersgrenze vom Gesetzgeber weiter angehoben wird, ist die Möglichkeit vorgesehen, den Versicherungsschutz an die neue Altersgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung anzupassen.

 

> Im Leistungsfall muss die Prämie bis zur Entscheidung über die Leistungspflicht weiter gezahlt werden. Dieser Zeitraum kann lang sein, weshalb viele Versicherer bereits in den Bedingungen die Möglichkeit bieten, Prämien für den Zeitraum der Leistungsprüfung zinslos zu stunden. Der Versicherte hat aber darauf keinen Anspruch, es sei denn, dieser ist in den Versicherungsbedingungen vorgesehen. 

 

> Es besteht weltweiter Versicherungsschutz. Dies ist dann relevant, wenn Sie Ihr Leben nicht durchweg im Heimatland verbringen werden.

 

> Für Beamte ist die „Beamten“- oder genauer „Dienstunfähigkeitsklausel“ sehr vorteilhaft. Der Versicherer unterwirft sich der Anerkennung der Dienstunfähigkeit durch den Dienstherrn. Auch insoweit werden verschiedene Varianten von Klauseln angeboten. Für die Frage, ob wirklich eine Dienstunfähigkeitsklausel vorliegt, kommt es auf den genauen Wortlaut an.

 

> Selbständige können Art und Inhalt ihrer Tätigkeit selbst bestimmen. Die Klauseln der Berufsunfähigkeitsversicherung verpflichten sie, Berufsunfähigkeit durch eine zumutbare Umorganisation zu vermeiden. Vorteilhafte Klauseln verzichten auf die Verpflichtung zur Umorganisation ihres individuellen Arbeitsbereichs.

 

> Speziell für Ärzte ist die Infektionsklausel vorteilhaft, derzufolge ein Berufsverbot wegen einer Infektion als Berufsunfähigkeit gilt.


Diese Aufzählung vorteilhafter und nachteiliger Regelungen ist selbstverständlich nicht abschließend und kann es bei der Flut verschiedenster Klauseln auch gar nicht sein.

 

Die anhaltende Zinsflaute am Kapitalmarkt setzt die Branche unter Druck. Der sinkende Garantiezins hat auch Auswirkungen auf die (als „BUZ“ oft mit einer Lebensversicherung verbundene) Versicherung bei Berufsunfähigkeit. Auf der einen Seite werden die Beiträge für die Berufsunfähigkeitsversicherung erhöht, auf der anderen Seite sind die Versicherer zum Sparen gezwungen. Leider wird der Sparzwang aber oft einseitig auf dem Rücken der Kunden ausgetragen. Versicherte haben es immer schwerer, ihre Ansprüche durchzusetzen. Manche sprechen von einer „strategischen Leistungsverweigerung“. Rund 30 % der Anträge auf Berufsunfähigkeit werden von den Versicherern laut Auskunft des Versicherungsverbands GDV aus dem Jahr 2012 nicht anerkannt.

 

Eine weitere Ursache für die ablehnende Haltung der Versicherer liegt auch darin, dass  psychische Erkrankungen mittlerweile den größten Anteil der Gründe für eine Berufsunfähigkeit ausmachen. Psychische Erkrankungen sind aber schwerer nachzuweisen als handfeste, organisch nachweisbare Leiden, insgeheim wird oft eine „Rentenneurose“ unterstellt.

 

Es ist daher ratsam, zuerst eine Rechtsschutzversicherung abschließen und nach Ablauf der Wartezeit in der Rechtsschutzversicherung von drei bis sechs Monaten die Berufsunfähigkeitsversicherung. Denn Rechtschutzversicherungen treten nicht ein, wenn der Leistungsfall vor Vertragsschluss aufgetreten ist und viele Versicherungsbedingungen in der Rechtsschutz-versicherung verlagern den Zeitpunkt des Versicherungsfalls auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses der Berufsunfähigkeitsversicherung vor.

 

Beim Vergleich geeigneter Berufsunfähigkeitsversicherungen sollten neben den Vertragsbedingungen die Leistungs- und Prozessquoten berücksichtigt werden. 2019 schwankte die Leistungsquote je nach Versicherer von 55 bis 94 %. Genauso interessant ist die Prozessquote. Diese Prozentzahl setzt die Anzahl der Rechtsstreitigkeiten mit allen Leistungsfällen ins Verhältnis. Am aussagekräftigsten ist es, wenn nur die von der Versicherung verlorenen Rechtsstreitigkeiten gewertet werden. 2019 betrug diese Prozessquote von Versicherer zu Versicherer 0,35 % bis 6,97 %, die Unterschiede sind recht hoch. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass diese Zahlen von den Versicherern manipuliert werden können, ich habe selbst derartige Manipulationen während meiner Tätigkeit in verschiedenen Versicherungen miterlebt. Droht der Versicherer den Rechtsstreit zu verlieren, schließt er einen Vergleich, der so günstig ist, dass es für den Versicherungsnehmer töricht wäre, ihn nicht anzunehmen. Ein Vergleich braucht aber statistisch nicht als verloren gewertet zu werden. Zu diesen mehr oder weniger zutreffenden Statistiken habe ich durch die Auseinandersetzung mit verschiedenen Berufsunfähigkeitsversicherungen eigene Erfahrungen hinzugewonnen.

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